Zu Fuß durchs Wendland

Juli 2022

Das Biosphärenreservat Elbtalaue

Die Tour von Lüchow (inklusive Rundlingsdörfer) über Dannenberg und Damnatz bis nach Hitzacker

Lüchow

Lüchow ist ein kleines beschauliches Örtchen an der Jeetzel, an der ich später nach Dannenberg entlangwandern werde. Mein Hotel liegt in einer ruhigen Seitengasse.

 

Gleich nach dem Einchecken besuche ich das nahegelegene Stones-Fan-Museum. Der Inhaber ist ein rühriger Typ und begrüßt mich mit den Worten: "Du hast Glück, heute ist ein besonderer Tag: 60 Jahre Rolling Stones!"

Jetzt erst mal was essen - stilgerecht im benachbarten Art-Rock-Café.

Den Tag lasse ich ausklingen auf einer Bank am Amtsturm und später in einem gemütlichen Biergarten. Am Nachbartisch hat sich eine illustre Gesellschaft zusammengefunden, um einem Mann mit weißem Pferdeschwanz zum 80. Geburtstag zu gratulieren. Die meisten Gäste sind deutlich jünger als er, viele tragen Männerdutt, alle sind irgendwie "öko". Es gibt mehrere Vorstellungsrunden, Landwirtschaft scheint das verbindende Thema zu sein. Die meisten kamen als Einzelpersonen, wie auch der Jubilar. Es gelingt mir leider nicht herauszufinden, in welchem Verhältnis die Personen zueinander stehen. Familie ist es jedenfalls nicht.

 

Die ganze Zeit kämpfe ich mit dem Gedanken, zu ihm rüberzugehen und ihm mitzuteilen, dass nicht nur er heute einen runden Geburtstag feiert, sondern auch die Rolling Stones. Da er ein aufgeschlossener Typ ist und mit seinem Zopf auch irgendwie flippig, bilde ich mir ein, es könnte ihn erfreuen. Aber ich empfinde es als übergriffig und traue mich daher nicht. Außerdem weiß er es vermutlich schon, denn es ist ja nicht der erste runde Geburtstag, den er und die Stones gemeinsam feiern.

Rundlingsdörfer bei Lüchow

Nach dem Besuch der Lüchower Tourist-Info bin ich zunächst unschlüssig, ob ich die Rundlingsdörfer-Tour zu Fuß oder mit einem Leihfahrrad absolvieren sollte, entscheide mich dann aufgrund der vielen Kilometer fürs Rad. Die richtige Wahl, wie sich später herausstellen soll.

Reetze

Satemin

Der Weg führt zwischen den Dörfern durch eine herrliche Landschaft aus gelben Kornfeldern, grünen Wiesen und Bäumen, aus denen es unentwegt zwitschert. Die Straßen und Wege sind menschenleer. Im Café in Satemin sagt der einzige Mitarbeiter: "Zwischen Ostern und Pfingsten gibt es hier den Kultursommer, dann sind hier doppelt so viele Leute wie jetzt. Das mögen die Einheimischen nicht!" Ich sehe mich um: Doppelt so viel von was? Außer ihm und mir gibt es nur noch ein Ehepaar.

Jabel

Meuchefitz

Wikipedia sagt: "Der Gasthof in Meuchefitz[2] ist in der Region durch sein einschlägiges Engagement im Gorleben-Protest und seine Selbstverwaltung bekannt. Er war in der Vergangenheit Ziel polizeilicher Hausdurchsuchungen und ist heute ein Treffpunkt der linksorienten Protestszene. Nach einem Brand 1983 halfen reisende Gesellen und das Handwerkerkollektiv Axt und Kelle beim Aufbau."

Gühlitz

Ich finde Gühlitz nicht! Irre über Straßen und Wege, passiere mehrmals diese Kneipe in Meuchefitz und komme einfach nicht weiter - schon gar nicht nach Gühlitz. Mein Navi macht in dieser Einöde schlapp. Und kein Mensch weit und breit, den ich fragen könnte. Selbst als Radfahrerin beschleicht mich eine leichte Panik - wie würde es mir erst gehen, wenn ich hier zu Fuß unterwegs wäre? Was bin ich froh, dass ich das Rad genommen habe! Vor der Tür eines einsamen Wohnhauses sehe ich einen PKW stehen. Ich fasse mir ein Herz - und klingele. Ein freundlicher Mann öffnet und zeigt mir den Weg - durch den Wald! Und das mir als Waldphobikerin! Aber da muss ich jetzt durch.

Und so richtig gelohnt hat es sich nicht ...

Lübeln

Auch in Lübeln tote Hose.

Aber der Besuch des Rundlingsmuseums Lübeln lohnt sich. Hier können die Besucher das Leben im Rundling im wahrsten Sinne erleben und erfahren auch viel über das Handwerk im Wendland vor einigen hundert Jahren.

Fazit Rundlingsdörfer

Wie kommt das Runde in das Eckige? Der Aufbau von Rundlingsdörfern lässt sich nur sehr schwer fotografieren - eigentlich gar nicht. Einige Häuser stehen leer, zum Verkauf. Es wird sich bemüht, die Rundlinge weiterhin zu erhalten. Es gibt viel Landwirtschaft. Und überall sehr viel schöne ... "Gegend"!

Panik in Lüchow

Zurück in Lüchow erlebe ich eine Panik nach der nächsten. Erst mal ist plötzlich mein Sonnenkäppi weg, das ich morgen aber unbedingt brauche, wenn ich an der Jeetzel lang nach Dannenberg laufe. Flitze schnell vor Feierabend zu Woolworth und finde dort eine sehr hässliche Kappe, aber besser als nichts. In einem anderen Geschäft finde ich ein besseres Käppi und kaufe auch das. Alles auf dem Weg zu Edeka, denn ich habe den Verdacht, dass ich meins dort vorhin verloren haben könnte. Und tatsächlich! Es wurde abgegeben. Jetzt habe ich drei!

 

Und dann ist abends mein Ladekabel für die Powerbank verschwunden. Die brauche ich aber unbedingt unterwegs für das Navi. Nachdem ich stundenlang im Zimmer gesucht habe, googele ich entnervt nach einem Geschäft in Lüchow, in dem ich morgen ein Kabel kaufen könnte. Als ich eins gefunden habe, finde ich auch das Kabel.

 

Verloren habe ich heute auch noch das Brillenband (ein ebenso hässliches Wort wie "Brosche") für meine Lesebrille, die ich zum Kartenlesen unterwegs brauche. Hierfür bekam ich Ersatz bei einem Optiker - geschenkt. Überhaupt sind die Leute hier alle toll: hilfsbereit, auskunftsfreudig und stets tiefenentspannt.

Von Lüchow nach Dannenberg

17 km - 31.000 Schritte

Innenhof des Hotels
Innenhof des Hotels

Gestern Abend belauschte ich ein Telefonat meines Zimmernachbarn. Er war offenbar ebenfalls für 2 Nächte hier. Nachdem er Lüchow und die Gegend sehr positiv beschrieben hatte, fügte er hinzu: "Aber ein weiterer Tag hier wäre grenzwertig."

 

So sehe ich es auch, frühstücke ein letztes Mal im lauschigen Innenhof meines Hotels und mache mich auf den Weg nach Dannenberg. Das Lunchpaket schenkt mir der freundliche Hotelier.

Start nach Dannenberg
Start nach Dannenberg

Hier startet mein Weg nach Dannenberg, entlang der Jeetzel, auf und neben dem Deich. Am Anfang etwas unheimlich, denn auch hier ist kein Mensch unterwegs. Aber schnell weicht das Unbehagen der Freude über die unendlich vielen Facetten der Farbe Grün, das Korn, die Störche, die Schwäne mit vier Jugen, das Zwitschern aus den Bäumen und das Zirpen vom Deich.

3x Glück

Selbst am Deich entlang kann es wegen seltsamer Wegeführung dazu kommen, dass man nicht mehr weiß, wo es weitergeht. Beim ersten Mal steht da plötzlich ein Biker neben seinem Motorrad und raucht eine. Der einzige Mensch seit Stunden. Ich frage ihn, und wir schnacken eine ganze Weile über das Globetrotten.

 

Beim zweiten Mal sehe ich eine Frau neben ihrem Auto, wie vom Himmel gefallen in dieser Einöde, und frage auch sie.

 

Das dritte Glück im ansonsten eher langweiligen Dannenberg: Im Freibad habe ich eine 50-Meter-Bahn für mich allein.

Mein Zimmer in Dannenberg und der Blick aus meinem Fenster.

Von Dannenberg nach Damnatz

13,5 km - 23.100 Schritte

Die Strecke ins kleinste Nest bietet die größte Überraschung: Es ist die schönste Etappe auf meiner Tour! Und auch hier: menschenleer. Ich kann mitten auf der Straße gehen, denn es gibt keine Autos. Ich bin bis obenhin angefüllt mit den schönsten Natureindrücken. Entschleunigung pur. Und am Ziel: endlich Elbe!

Meine Unterkunft mit freundlichen Vermietern und einer sensationellen Gestaltung der Dusche - Niagara-Feeling. Ein Leckerli auf dem Kopfkissen. Genau das Richtige für eine Diva mit Rucksack, die sich "Wandern und Wellness" zum Motto gemacht hat. Und am Abend begrüßen sich zwei Störche klappernd in ihrem Nest neben dem Balkon.

Von Damnatz nach Hitzacker

18 km - 32.400 Schritte

Schon wieder ein Globetrotter-Gespräch, diesmal nach dem zauberhaften Frühstück. Der weibliche Hotelgast ist von Hamburg bis Magdeburg mit dem Fahrrad unterwegs und ist auch bereits viel gewandert. Da gibt es einiges zu erzählen.

Auf die Tour an der Elbe entlang hatte ich mich am meisten gefreut - und sie entpuppt sich als die langweiligste. Man läuft neben dem Deich, die Elbe ist nicht zu sehen. Klar, ist ja auch Elbauegebiet, das heißt, hier ist genug Platz für den Fluss, sich, wenn nötig, weitläufig zu entfalten. Außerdem darf man nur selten auf den Deich, weil er zum Naturschutzgebiet gehört.

 

Parkhotel am Kurpark. Einen 70er-Jahre-"Charme" bekommt man aus so einem Haus nicht mehr raus. Immerhin: Ich habe den Pool und den Whirlpool für mich allein. Das Hotel versucht, mich aufgrund seiner abgelegenen Lage von der Stadt fernzuhalten. Ich raffe mich trotzdem noch mal auf. Immerhin habe ich am Abend ein nettes Tischgespräch mit einem Paar aus Münster. Und das Buffet ist auch nicht schlecht.

Ein typischer 70er-Jahre-Kurort mit vielen Menschen in beige. Morgen möchte ich sehr früh zum Bahnhof aufbrechen und weg.

Auf dem Bahnhof treffe ich eine Wanderin aus Lünebürg. Sie war mit Zelt übers Wochenende in dieser Gegend wandern. Und traut sich sogar durch Wälder! Mutig! "Nö", meint sie. "Hier gibt es ja keine Menschen. Wovor sollte ich Angst haben?" Den Jungbrunnen am Bahnhof entdecke ich leider erst später - auf dem Foto rechts.

Bis zum nächsten Jahr im Biosphärenreservat Elbtalaue!